Manfred Stephan (Hrsg.)

Sintflut und Geologie

Schritte zu einer biblisch-urgeschichtlichen Geologie


Ergänzende Bausteine aus Sintflut und Geologie (3. Aufl.)

Zur Sequenzstratigraphie

Im Laufe der Forschungsgeschichte sind verschiedene stratigraphische Arbeitsmethoden in die Bearbeitung der geologischen Gesamtschichtenfolge eingeflossen:

Die Lithostratigraphie wird besonders angewendet, wenn keine Abfolgen stratigraphisch verwertbarer Fossilien vorhanden sind. Dann werden vor allem gesteinskundliche Methoden benutzt. Dies führt oft zu einer unscharfen Korrelierung mit entfernten, ungefähr gleich alten Gesteinsfolgen und damit zu einer unsicheren Zeitbestimmung (das gilt unabhängig vom generell gewählten Zeitrahmen, sei er lang oder kurz).

Die Biostratigraphie verwendet die Abfolge von oft weltweit korrelierbaren Zonen-Leitfossilien (Tab. 1). Zur Ermittlung absoluter Alter werden geologische, physikalische und biologische Methoden angewendet (auf die Problematik der Altersbestimmung mit Hilfe radioaktiver Isotope – oft als absolute Altersbestimmung bezeichnet – wird hier nicht eingegangen; vgl. Sintflut und Geologie, Kap. 8.2).

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Tab. 1 Heutige internationale feinstratigraphische Jura-Gliederung (Biostratigraphie) mit den Gattungs- und Artnamen der leitenden Zonen-Ammoniten (Mitte), daneben die moderne Stufen-Gliederung (Hettang usw.), die auf D’Orbigny zurückgeht. Rechts: Aufgliederung des süddeutschen Jura zum Teil nach Gesteinsmerkmalen (Lithostratigraphie). Ganz links: Traditionelle Unterteilung des schwäbischen Jura nach dem „Quenstedt-Alphabet“ (s. Text). (Aus Quenstedt 1856/57, Nachdruck 1987; nach Richter)

In der Praxis werden alle stratigraphischen Arbeitsmethoden in der geologischen Gesamtschichtenfolge miteinander verbunden, um sie immer detaillierter untergliedern zu können. Als neueres, zusätzliches Konzept wird die Arbeitsweise der Sequenzstratigraphie vorgestellt.1 Hier soll ihre mögliche Bedeutung für eine biblisch-urgeschichtliche Geologie ausgelotet werden.

Gehen wir von einer geschaffenen Lebewelt aus, die in gestörten Ökosystemen existierte. Die Rekonstruktion der Sedimentationsereignisse kann, sofern sie schnell erfolgte, zu Widersprüchen mit der langzeitlich verstandenen Biostratigraphie führen, denn die biostratigraphischen Zeitmaßstäbe sind fraglich geworden. Als Beispiel sei der Obere Muschelkalk (= Hauptmuschelkalk) genannt. Er wird biostratigraphisch mit Hilfe der sich in der Sedimentfolge abwandelnden Ceratiten-Gehäuse („Muschelkalk-Ammoniten“) in ca. 13-14 Zonen unterteilt2 (vgl. Sintflut und Geologie, Abb. 18). Für jede Zone wird durchschnittlich ein Zeitraum von 300.000 bis 500.000 Jahren angegeben. Neuere Untersuchungen an einer heutigen Kleinfisch-Gruppe (Guppys) in einem bestimmten Lebensraum führten jedoch zu ganz anderen Ergebnissen. Unter dem Druck einer sich ändernden Umwelt, die durch andere Fressfeinde verursacht wurde, lief die genetische Mikro-Evolution dieser Guppy-Population um bis zu 10 Millionen (!) mal schneller ab, als aus übereinander gefundenen Abwandlungsreihen fossiler Tiere angenommen worden war.3 Ähnliches gilt auch für mikroevolutive Prozesse bei anderen Lebewesen.4 Setzt man auch nur annäherungsweise entsprechende Zahlen für den Hauptmuschelkalk ein, so könnten die Ceratiten-Zonen erheblich kürzer gewesen sein, insbesondere, weil im Muschelkalk-Meer immer wieder gestörte ökologische Bedingungen herrschten.5 Dadurch hätte sich möglicherweise ein erhöhter Selektionsdruck auf die Ceratiten ausgewirkt und zur Gehäuseabwandlung beigetragen.

Aigner et al. weisen anhand der zyklischen Ablagerung des südwestdeutschen Hauptmuschelkalks darauf hin, dass zahlreiche Kalkbänke in der Mächtigkeit vom Zentimeter- bis Meterbereich innerhalb von Stunden bis Jahrhunderten entstanden sein konnten (Abb. 4, links).6 Die angenommene lange Dauer wird auch mit den gelegentlich in der Schichtenfolge eingeschalteten Riffen begründet, vor allem solche, die aus der kleinen Muschel Placunopsis aufgebaut sind (vgl. Sintflut und Geologie, Kap. 5.8). Sedimentstrukturen und Gefüge sehr zahlreicher Einzelbänke im Hauptmuschelkalk belegen jedoch Hochenergie-Ereignisse, die in äußerst kurzer Zeit abgelaufen sein müssen. Sie werden von der heutigen Forschung gewöhnlich als Sturmflutablagerungen (Tempestite) interpretiert.7 Im Rahmen der Sequenzstratigraphie ist nun wichtig, dass die einzelnen Schillkalkbänke usw. über weite Teile des Muschelkalkbeckens jeweils „absolut zeitgleich“ gebildet wurden. Man kann mit Hilfe solcher Leitbänke „ein exaktes Zeitraster von Tagesgenauigkeit über die Schichtfolge“ legen. „Die Bankstratigraphie bekommt damit eine nie geahnte chronostratigraphische Genauigkeit“.8

Jedoch weist Aigner selbst darauf hin, dass die heutigen Orkanflut-Lagen der Nordsee „allerdings sehr viel geringermächtig als vorliegende Abfolgen“ im Hauptmuschelkalk sind.9 Das deutet auf damalige Entstehungsbedingungen mit einer erheblich höheren Energie hin als in gegenwärtigen Orkanen. Außerdem steht die kurze Bildungszeit sehr vieler Einzelbänke des Hauptmuschelkalks in eigenartigem Gegensatz zur Entstehungsdauer des ganzen Hauptmuschelkalks nach Isotopen-Datierungen. Dafür werden ca. 5 Millionen Jahre angegeben; für den gesamten Muschelkalk ca. 8 Millionen Jahre.10

Nach Aigner lassen sich die einzelnen Bänke in der Schichtenfolge zu zahlreichen sog. Dachbank-Zyklen von ca. 1-7 Meter Dicke ordnen (Abb. 4, Mitte).11 Diese Zyklen beginnen jeweils mit dünneren und feinkörnigeren Lagen (etwa Tonhorizonte) und enden nach oben mit grobkörnigeren und mächtigeren Schichten, den „Dachbänken“ (z.B. Schalentrümmerbänke). Die Entstehung der Zyklen soll durch Meeresspiegelschwankungen gesteuert worden sein. Dabei werden die feinkörnigeren Schichten Meeresspiegelhochständen, die grobkörnigen Bänke Tiefständen zugeordnet; letztere also hochenergetischen Flachwasserbedingungen. Die Anordnung der Kalkbänke zu diesen Zyklen ist im Aufschlussbereich allerdings nicht immer eindeutig, da es viele Abweichungen vom Idealbild gibt und im norddeutschen Hauptmuschelkalk die Zyklen zum Teil anders aufgebaut sind.12

Die Abfolge der Dachbank-Zyklen übereinander bildet laut Aigner einen annähernd symmetrisch aufgebauten Großzyklus (Abb. 4, rechts).13 Er wird als Beckenfüllung bezeichnet und umfasst den ganzen, im nördlichen Baden-Württemberg ca. 100 Meter mächtigen Hauptmuschelkalk. Dieser Großzyklus wird wiederum auf übergeordnete, jedoch stärkere Meeresspiegelschwankungen bzw. unterschiedlich starke Absenkungen des Untergrundes zurückgeführt.

Der Großzyklus beginnt mit gröberen und mächtigeren Bänken des Unteren Hauptmuschelkalks, die vielfach mit ungeheuren Massen von Seelilienstielgliedern angereichert sind (Trochitenkalk). Die Stielglieder wurden demnach in einem flacheren Meer unter hohen Transportenergien verschwemmt (es stellt sich die Frage, ob die Massenvermehrung der Seelilien auf gestörte ökologische Bedingungen hinweist). Bei der anschließenden Entstehung der feinkörnigeren Tonplatten und Blaukalke des Mittleren Hauptmuschelkalks hätte sich der Meeresspiegel dann wieder gehoben. Der den Großzyklus abschließende Obere Hauptmuschelkalk weist mit seinen groben Schillkalk- und Kornsteinbänken wieder auf energiereiche Flachwasserbedingungen hin (vgl. Abb. 4).14

Abb. 4 Die dynamische Stratigraphie oder Sequenzstratigraphie des Hauptmuschelkalks baut auf der Bildung der Einzelbänke auf. Die Analyse ihrer Sedimentstrukturen ergab, daß sie zumeist durch Hochenergie-Ereignisse innerhalb von Stunden (hours) abgelagert wurden (links). Für die Entstehungszeit werden nur in gelegentlichen Fällen Jahrhunderte angenommen, wenn in der Schichtenfolge Riffe eingeschaltet sind.

    Die nächsthöhere Einheit umfaßt eine Abfolge von Bänken, die nach oben gröber und dicker werden (Mitte). Dies wird als Zunahme der Ablagerungsenergie infolge Absenkung des Meeresspiegels interpretiert. Die vermutete Ablagerungsdauer eines solchen „Dachbank-Zyklus“ in Jahrhunderten bis Jahrzehntausenden legt eigenartigerweise generell die langsame Riff-Wachstumszeit zugrunde, obgleich Riffe selten auftreten.

    Die höchste Stufe der Ablagerungs-Hierarchie umfaßt den ganzen Hauptmuschelkalk und wird als Becken-Analyse beschrieben (rechts). Für die Gesamtfüllung des Hauptmuschelkalk-Beckens werden übergeordnete Meeresspiegelschwankungen angenommen. Die Beckenfüllung begann laut Sequenzstratigraphie mit einem flachen Meer, in dem eine hohe Sedimentbildungs-Energie herrschte, die gröbere und mächtigere Dachbank-Zyklen bildete. Im weiteren Verlauf soll es zu einem Meeresspiegelanstieg gekommen sein, der mit geringeren Ablagerungs-Energien einherging, was zu immer feinkörnigeren und dünneren Dachbank-Zyklen bis zum mittleren Teil der Sedimentfolge führte. Dann kehrte der Gesamtzyklus um, und die Dachbank-Zyklen wurden wieder grobkörniger und mächtiger. Dies wird wiederum als Bildung unter einem sinkenden Meeresspiegel interpretiert, was abermals eine Energiezunahme bewirkte. Ausgehend von der Entstehung der einzelnen Dachbank-Zyklen während Jahrzehntausenden nimmt man eine Jahrmillionen lange Bildungsdauer des gesamten Hauptmuschelkalks an (s.o.). Dafür sprechen zwar radiometrische Datierungen, es steht aber in Spannung zur allgemein anerkannt schnellen Entstehung sehr zahlreicher Einzelbänke. (Aus Aigner et al. 1990)

Auf diese Weise versucht das Modell der Sequenzstratigraphie nachzuvollziehen, wie die Sedimente des Hauptmuschelkalks gebildet wurden.15 Man kann jedoch im Sinn eines biblisch-urgeschichtlichen Entstehungsmodells überlegen: Die rasche Ablagerung sehr zahlreicher Einzelbänke des Hauptmuschelkalks ist allgemein anerkannt, da sie an den Sedimentstrukturen deutlich erkennbar ist. Über ihre Bildung können viel zuverlässigere Aussagen gemacht werden als zu den übergeordneten Zyklen. Bei deren vermuteten Bildungsbedingungen werden die Aussagen der Sequenzstratigraphie enorm extrapoliert und damit zunehmend hypothetisch und unsicher. Aber selbst die Bildung der einzelnen Schillkalkbänke durch Stürme ist zweifelhaft, worauf der Vergleich mit heutigen Orkanlagen hinweist (s.o.). Wenn bei der Sedimentation der Einzelbänke größere Kräfte als bei Orkanen gewirkt haben, stellt sich die Frage, ob dann nicht auch die übergeordneten Dachbank-Zyklen bis hin zum Großzyklus der Beckenfüllung insgesamt energiereicher und rascher abgelaufen sein könnten.


1 Wilgus et al., See-Level (1988); van Wagoner et al., Overwiev (1988); van Wagoner et al., Sequence stratigraphy (1990); Emery & Myers, Sequence stratigraphy (1996); zusammenfassend Schäfer, Sedimente (2005), 321-404.
2 Urlichs, Gliederung (1993); Urlichs, Cephalopoden (1999); vgl. Bachmann & Brunner, Nordwürttemberg (1998), 22f.
3 Vgl. Brüggemann, Guppys (1998).
4 Überblick bei Junker & Scherer, Evolution (2006), 301-304.
5 Vgl. Geyer & Gwinner, Baden-Württemberg (1986), 76f.
6 Aigner et al., Stratigraphie (1990), 127.
7 Aigner, Schill-Tempestite (1979); Aigner, Stratigraphie (1986), 35-43; Aigner et al., Stratigraphie (1999).
8 Hagdorn & Simon, Hohenloher Land (1988), 55; vgl. Hagdorn & Simon, Leitbänke (1993), 203-207.
9 Aigner, Schalenpflaster (1977), 210.
10 Hagdorn & Simon, Hohenloher Land (1988), 49; Hagdorn, Riffe (1997), 185.
11 Aigner, Stratigraphie (1986), 39-43.
12 Vgl. Röhl, Sequenzstratigraphie (1993), 33f.
13 Aigner, Stratigraphie (1986), 46-52.
14 Untergliederung nach Hagdorn & Simon, Hohenloher Land (1988), 33-57.
15 Zusammenfassung bei Aigner & Bachmann, Sequence Stratigraphy (1993); Aigner, Stratigraphie (1999).

Nähere Informationen zu den Quellenangaben in Teil 1 und Teil 2 des Literaturverzeichnisses


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